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Buchauszug “Klare Führung” Teil II: Megatrends

In einer hyperdemokratischen Gesellschaft herrscht zu viel Komplexität und wenig Fortschritt. Die Vielzahl der staatlichen Institutionen und die zunehmende Anzahl nicht-staatlicher Beeinflusser erschweren das Zusammenfügen von wirklichen Mehrheiten. Die sind aber in einer demokratischen Gesellschaft für wichtige gesellschaftliche Themen unerläßlich. Der notwendige Konsens zwischen den unendlich vielen Meinungsbildern und Meinungsführern verhindert jeglichen grundlegenden Fortschritt. Der Konsens manifestiert das Klein-Klein.


Aus den vermeintlich Mächtigen in unserem Staat sind bei genauerem Hinsehen eigentlich „Ohnmächtige“ geworden. Ohnmacht ist das Gegenteil von Macht und daher ein inhärenter Bestandteil der Macht. Macht und Ohnmacht sind bei allen philosophischen Betrachtungen wesentliche Aspekte der Führung. Dort wo Ohnmacht herrscht, ist Führung nicht zu erkennen. Sie ist der Ausdruck mangelnder Einflußmöglichkeiten auf das objektiv wie auch subjektiv Notwendige. Es ist das Bild unserer Zeit, dass die Ohnmacht die Macht für Veränderungen deutlich dominiert. Die Folgen in der Gesellschaft sind durchaus fatal. Dort wo Dinge nicht in Richtung eines permanenten oder tiefgreifenden Fortschritt bewegt werden können, zeigen sich die negativen Auswirkungen der Ohnmacht: Angst, Wut und Frustration. (fn)


Tatsächlich können wir diese Aspekte in unser Gesellschaft durchaus wahrnehmen. Es herrscht eine sichtbare Angst, die Zukunft nicht zu gestalten, sondern von den aufkommenden globalen Veränderungen einfach überrollt zu werden. Die Unzufriedenheit über die politische Führung – oder besser Nicht-Führung – kann sehr schnell in eine Wut gegen die Politiker-Kaste umschlagen. Die gesamte Gemengelage führt zu einer Frustration der Bürger, die sich als eine Folge von der Politik abwenden und das gesellschaftliche Engagement zugunsten individueller Ziele zurück fahren.
Die Ohnmacht basiert dabei durchaus auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens. Ein vermeintlich positiver Ausbau der Demokratie durch mehr Beteiligung und dem Streben nach einen breiten gesellschaftlichen Konsens sollte zu einer noch besseren Form der Demokratie führen. Unser Zeitgeist hat die einfache Formel „Mehr Beteiligung gleich bessere Demokratie“ als Grundlage des Staatswesens fest verankert. Breitere Führung soll eine bessere Führung sein. Die Ohnmacht des einzelnen Würdenträgers ist nach Führern mit Allmachtsphantasien ein gewünschtes Zielszenario und stellt sich gegen die Tyrannei. Um die Gefahr eines Faschismus endgültig zu besiegen, hatte vor einem halben Jahrhundert eine außerparlamentarische Opposition die gesamte Staatsmacht in Frage gestellt. Die Gefährdung durch einen mächtigen Staat sollte mit allen Mitteln verhindert werden. Die pauschale Ablehnung von unkontrollierter Staatsmacht ist zwar im wahrsten Sinne des Wortes eine Anarchie, aber sie wurde vor dem Hintergrund der Geschichte deutlich positiver gewertet als die schrecklichen Folgen eines starken Staates. So hat sich in den letzen Jahrzehnten das Bild der idealen Gesellschaft und der richtigen Form der Demokratie grundlegend gewandelt. Und tatsächlich können wir heute konstatieren, dass der Staat und seine Organe immer schwächer geworden sind. Wir sehen uns der Situation gegenüber, dass das Gewaltmonopol des Staates nicht mehr von allen akzeptiert ist. Rechtsfreie Räume haben sich aufgetan und die Justiz hat zu lange Wege und vielleicht auch zu stumpfe Waffen, um der Unordnung Herr zu werden.
Die Gefahr dieser Situation besteht in einem Maximum der Entmachtung von staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen. Wo aber keine Ordnung ist kommen die negativen Auswirkungen der Ohnmacht deutlich zum Vorschein. Angst, Wut und Frustration haben durchaus das Zeug dazu, neue gesellschaftliche Konflikte herauf zu beschwören. Der gesellschaftliche Konsens der „Entmachtung“ fängt an zu bröckeln. So artikulieren immer mehr Bürger den Wunsch nach Mächtigen, die Fortschrittsthemen entscheiden und auch durchsetzen können. Doch an dieser Stelle ist sicher Vorsicht geboten. Viel besser wäre es doch, wenn der Staat insgesamt wieder mehr Macht gewinnt und nicht einzelne Personen einen nicht zu rechtfertigenden Machtanspruch artikulieren. Zum Glück wird individuelle Macht und unkontrollierte Staats-Macht immer noch von der Mehrheit in unserer Gesellschaft abgelehnt.


Das Problem der Macht und der vernünftigen Machtverteilung wird tatsächlich seit der Zeit des klassischen Griechenland intensiv diskutiert. Es waren die sogenannten Sophisten, die eine Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex notwendig gemacht haben.(fn) Machtpositionen in der damaligen Zeit waren von den Göttern eingeräumt worden. Macht war durch eine höhere und mystische Gewalt legitimiert. Staatliche Macht und religiöse Themen waren nicht getrennt. Der Staat verkörperte religiöse und göttliche Ansichten über das Gute und das Schlechte. Die Sophisten hatten damals die These aufgestellt, dass das Leben des Menschen nicht von den Göttern bestimmt ist. Das Wesen der Götter war nach Ihrer Auffassung nicht zu erkennen. Das was geschieht, ist nicht von den Erzeugern der Menschen und der Welt abhängig, sondern von den Sichtweisen und Einstellungen des Individuums. Damit stellten sie den Menschen selbst in den Mittelpunkt der Lebensführung. Die Mystik der Existenz von Göttern und deren Verhalten sollten im Sinne einer philosophischen Aufklärung aufgegeben werden. Damit war die damals gültige Legitimation von Macht für den Herrscher oder den Staat verloren.(fn) Mit dem Verlust der göttlichen und damit übergeordneten Legitimation der Macht ist natürlich die Frage verbunden, worauf sich Macht und Machtanspruch denn dann stützen können.


Bis heute ist die philosophische wie praktische Auseinandersetzung mit Macht sehr kontrovers. Da man viele, aber keine wirklich zufrieden stellenden Antworten auf die Kernfrage des Entstehens und der ethisch-moralischen Wertung von Macht gefunden hat, wurde Macht insgesamt tabuisiert. Die Verschleierung von Macht wird bis heute als eines ihrer Wesensmerkmale angesehen.(fn) Eine offene Reflexion und Darstellung von Machtaspekten wird nach wie vor vermieden, weil die Offenlegung von Abhängigkeiten die bestehenden Machtkonstellationen sichtbar und damit angreifbar macht. Mit dem Anspruch mächtig zu sein oder sein zu wollen, verbindet sich ein erheblicher Legitimationsdruck. Die Inhaber von Macht werden von allen Seiten diffamiert, da sie als Störenfriede in Bezug auf ein friedliches Einvernehmen von Gruppen oder einer Gesellschaft angesehen werden. So ist denn Macht bis heute etwas Verborgenes. Solange die wahren Machtverhältnisse nicht bekannt werden, sind alle faktischen Beziehungen und Abhängigkeiten sehr stabil. Nur die Ohnmächtigen haben Interesse an der Offenlegung von faktische Macht. Natürlich mit dem klaren Bestreben, die Machtbasen anzugreifen und selber Macht zu gewinnen. Macht ist also da und ist doch nicht leicht zu erkennen.


Macht ist tatsächlich immer da. Sie ist ein Ordnungsprinzip zwischen Menschen und auch des Menschen über die Natur. Wir haben die Macht, die Natur zu stören oder sogar zu zerstören. Ebenso haben wir die Macht, anderen Menschen Gutes zu tun. In jeder Gruppe bilden sich unweigerlich Rollen heraus, die eben auch den Aspekt umfassen, dass einige die Ansichten und Einstellungen der anderen beeinflussen können. Haben die Beeinflussenden zusätzlich die Fähigkeit sich durchzusetzen, werden aus dem Einfluß als geringe Machtausprägung stärkere Formen der Macht. Wenn also Macht wie die Philosophen sagen eine natürliche Erscheinung ist, dann kann man sie nicht wegdiskutieren. Man kann höchstens die Augen vor dem Phänomen verschließen. Und das genau geschieht. Damit ist sie aber noch da. Wir tabuisieren die Macht, um sie zu beherrschen und erreichen genau das Gegenteil, wir stabilisieren die unsichtbaren Verhältnisse. Das alles geschieht im Untergrund und bedarf einer tiefgründigen und philosophischen Betrachtung, um es zu verstehen und damit umgehen zu können.


Da Macht uns jederzeit unsichtbar umgibt, haben wir zurecht kein gutes Gefühl, wenn wir auf Macht treffen. Auch wenn es durchaus positive Aspekte der Macht gibt, nämlich wenn wir gesellschaftlich wichtige und richtige Dinge nur mit Macht erreichen können. So ist der Fortschrittsglaube ein durchaus mächtiger Gedanke, der ja zunehmend an Bedeutung gewinnt. Für eine neue Führung erheben wir den Anspruch, verborgene und gleichwohl wirksame Mechanismen zu vermeiden und Verantwortlichkeiten sichtbar zu machen. Gute und klare Führung heißt, keine „Machtspielchen“ im Verborgenen zu spielen. Wir müssen offen zeigen, wer was zu welchem Thema beitragen kann und wer eine legitimierte Entscheidungsgewalt hat. Lassen sie uns für den hier behandelten Gegenstand der Führung den Begriff Kompetenz verwenden. Kompetenz umfasst nach dieser Definition alle sichtbaren Aspekte von Macht. Das Unwohlsein gegenüber der Macht wird bei der Forderung nach Kompetenz durch Transparenz überwunden. Die Offenlegung von Abhängigkeiten bedarf nämlich der Legitimation. Wir können die offen erkennbare Kompetenzen legitimieren oder ablehnen. Damit ist einer Ausnutzung von verdeckter Macht in jedem Fall Einhalt geboten. Ein Machtmissbrauch wird verhindert, wenn sichtbare Kompetenz-Verteilungen von freien Menschen zwischen freien Menschen organisiert werden.
Eine Analyse des Kompetenzbegriffe zeigt uns die beiden wesentlichen Äste, die wir für eine neue und klare Führung brauchen. In der Organisationslehre versteht man unter Kompetenz die zugewiesenen Rechte und Pflichten. Rechte und Pflichten legitimieren den Funktionsträger, seine Aufgaben zu erfüllen und stellen neben die Verantwortung die Notwendigkeit einer Rechtfertigung von Entscheidungen und Handeln. In der Organisation sind Freiheiten und Kontrollen wesensgleiche Merkmale der Kompetenz. Der zweite Ast des Kompetenzbegriffes ist die fachliche und persönliche Eignung. Kompetent als Person ist derjenige, der gute Entscheidungen trifft und angemessen unter anerkannten Wertmaßstäben handelt. Ist die sichtbare Kompetenz mit Macht verbunden, erwarten wir von einer modernen Führungskraft, dass diese Macht nicht missbraucht, sondern gebraucht wird. Im Grunde fordern wir von den Funktionsträgern mit Positionen, die einen hohen Einfluss haben, tugendhaftes Verhalten. Die anerkannten Tugenden sind schon seit der Antike bekannt. Sie lauten: Weisheit, Gerechtigkeit, Mut und Mäßigung. Dort wo alte Tugenden befolgt werden, sind auch weit reichende Kompetenzen positiv zu beurteilen. Gut organisierte und offen dargelegte Kompetenzen sollen sich bei einer neuen Führung mit wichtigen persönlichen Merkmalen ergänzen. Es gilt die hohe Komplexität der heute unsichtbaren Machtstrukturen zu überwinden und wichtige Weichenstellungen für die Zukunft zu stellen. Da gilt für eine neue Führung in unserer Gesellschaft genauso wie für eine zukunftsgerichtete Führung in Unternehmen.

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