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Interview von Konrad Fischer, WiWo 23. Februar 2020

Managementberater Guido Schmidt arbeitet mit altbewährten Rezepten: den Weisheiten antiker Philosophie. Was wir außer Geometrie von Pythagoras lernen können – und warum Platon mit Vorsicht zu genießen ist.

Guido Schmidt ist seit Jahren als Unternehmensberater tätig. In seinem Buch „Klare Führung – Führungsphilosophie für gute und nachhaltige Entscheidungen“ überträgt er die Denkansätze der alten griechischen Philosophie auf die moderne Zeit.

WirtschaftsWoche: Herr Schmidt, Sie haben eine ziemlich klassische Karriere als Manager und Berater hinter sich. Wie haben Sie da plötzlich zu antiker Philosophie gefunden?

Guido Schmidt: Bei mir fing das an, als ich vor gut 20 Jahren Rückenschmerzen hatte.

Welcher Philosoph kann denn dabei helfen?

(lacht) Keiner. Das war eher der Beginn einer Lesereise: Über fernöstliche Gesundheitstipps bin ich irgendwann bei Zen gelandet und dann bei den alten Griechen. Und von da an wollte ich es einfach genauer wissen. So begleitet mich das Thema nun seit über zwanzig Jahren.

Aber wie kommen Sie darauf, dass das mehr als ein Hobby
sein sollte? Was haben antike Philosophen mit modernem Management zu tun?

Der Ansatzpunkt der Philosophie ist es, Dinge zu hinterfragen, die
wir normalerweise einfach als gegeben annehmen. Genau das ist
die Aufgabe eines Management-Beraters. Also kann man auch umgekehrt die Frage stellen, was man als Manager von den Philosophen lernen kann. So hat etwa unsere heutige Art der Rationalität ihre Wurzeln in der Denkschule der Platoniker. Seither sind wir alle

„Objektivisten“, also davon überzeugt, dass es auf jede Frage eine rein logische, objektive Antwort gibt. Wer aber auch die Sophisten mit ihrem Denken vom Menschen kennt, der kommt einfach ins Grübeln. Der Mensch ist das Maß aller Dinge, das war deren Ansatzpunkt. Auch wenn man diesen radikalen Subjektivismus nicht in aller Konsequenz teilen muss, es öffnet einem schlicht die Augen, die Dinge auch mal aus dieser Warte zu betrachten. Vor zu viel Platon im Sinne der einseitigen Fixierung auf das vermeintlich Objektive kann ich seither nur warnen!

Aber wo fängt man denn da an, wenn man sich bei den alten Griechen erkundigen will?

Am besten vorne. Denn wie das bei zeitgeschichtlichen Entwicklungen nun mal so ist, baut das jeweils Neue auf dem zu seiner Zeit Bekannten auf. Deshalb beginne ich in meinen Lehren mit Thales.

Der ja nicht nur Philosoph, sondern auch Mathematiker war.

Genau, so wie viele der frühen Philosophen, etwa Pythagoras. Thales’ philosophischer Ansatz war es, die ganze bekannte Welt auf einen Urstoff zurückzuführen. Das entspricht etwa dem wirtschaftlichen Dogma, Unternehmen nahezu eindimensional nach dem Shareholder Value auszurichten. Wir stellen uns gerade jetzt wieder die Frage, was der absolute Kern von Wirtschaft ist. Geld verdienen sicher nicht. Wir können in vielen Fällen aber gar nicht mehr erkennen, wofür die Unternehmen wirklich stehen. Deshalb gibt es ja zur Zeit auch eine intensive Diskussion über „Purpose“. Die Mitarbeiter möchten einfach wissen, an welcher „großen Sache“ Sie mitarbeiten.

Dabei kommen dann oft schreckliche Plattitüden heraus.

Das stimmt, aber nur wenn man nicht den Kern eines Unternehmens beschreibt, sondern bloß Attribute aneinanderreiht. Worum es wirklich gehen muss, macht uns eine Unterscheidung deutlich, die von den Eleaten um Parmenides stammt: zwischen vordergründiger Meinung und hintergründiger Wahrheit.

Die muss man aber erstmal finden.

Ein Beispiel: Die Managementmethode Scrum wird heute mit agiler Unternehmensführung gleichgesetzt, also einer Art Ideologie des richtigen Führens, in der Menschen freier, selbstbestimmter und zufriedener sind. Wenn man aber nach der hintergründigen Wahrheit sucht, dann stößt man schnell darauf, was dieses Scrum wirklich ist: eine Managementmethode zur Effizienzsteigerung in bester tayloristischer Tradition. Dort wird keine Transformation geboren, sondern kleine Projektchen werden effizient abgewickelt. Alles andere ist ein attraktiver Anstrich.

Aber was macht man dann mit dieser Erkenntnis?

Man lässt sich nicht mehr so leicht einlullen von Floskeln. Und man verinnerlicht, das Führen eben keine rein logisch rationale Sache ist. Womit wir bei Pythagoras wären.

Huch. Der steht doch eher für das Logische als für sein Gegenteil.

Wer einer geometrischen Regel seinen Namen geliehen hat, der muss damit wohl leben. Aber sein Grunddenken war es, dass man nur dann ein gelungenes Leben führt, wenn man einen gesunden Ausgleich von Mathematik, Askese, körperlicher Ertüchtigung und Ethik lebt. Für ihn gab es also wichtige Aspekte, die über die reine Mathematik hinaus gehen.

Es gibt doch nichts Unbestechlicheres als Zahlen.

Das stimmt in der Wahrnehmung der Menschen. Die Zahlenhörigkeit ist eben auch der Inbegriff der Allmacht des Objektiven unserer Zeit. Dabei ist das mitunter absurd. Wenn Sie etwa einem Vortrag Glaubwürdigkeit verleihen wollen, kann ich Ihnen nur raten, neue Gedanken mit „Erstens“, „Zweitens“ und „Drittens“ einzuleiten. Gleich wirken Sie glaubhafter, egal was sie dann genau erzählen. Wer sich die Überfixierung auf Zahlen klar macht, der trainiert sich einen gesunden kritischen Geist an.

Aber wer immer nur kritisch ist, der wird schnell zum Fortschrittsfeind.

Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Die Zahlenmenschen setzen immer auf etwas Bekanntem auf. Um das zu verstehen, liefert uns ein anderer Philosoph die
Grundlagen: Xenophanes. Von dem stammt die schöne Frage: „Wenn die Kühe Götter hätten, wie würden die wohl aussehen?“ Wer sich kurz klar macht, wie christliche Gottesabbildungen zumeist aussahen und wie menschlich die antiken Gottesgestalten waren, dem wird die Antwort sofort klar sein: wie Kühe.

Und wie beziehen Sie das auf die Moderne?

Na, das ist ja fast so etwas wie der Urgedanke der Disruption: Wer seine Vorstellungen nur darauf bezieht, die bekannte Welt zu optimieren,
der wird nie etwas wirklich Neues erfinden!

Aber was uns Xenophanes da natürlich vorenthält, ist die entscheidende Frage des Timings: Wann kommt die Zeit für radikal Neues und wie lange lohnt es sich am Bekannten festzuhalten?

Da empfehle ich Heraklit. Fast jeder kennt den Satz: Alles fließt. An einen Fluss hat er dabei aber nicht gedacht, sondern an ein Pendel: Er will uns damit sagen, dass Entwicklungen aus dem Kampf der Gegensätze hervorgehen. Entwicklungen werden bis zu einem gewissen Grad der Übertreibung forciert, um sich dann umzukehren.

Das hieße für die Gegenwart?

Es lohnt sich im Sinne von Heraklit nach Übertreibungen und der Wiederkehr von fast Vergessenem zu suchen, um Trends vorauszuahnen.

Dann lassen Sie uns doch mal mit Heraklit in die Zukunft blicken.

Wir lassen gerade eine ganze Epoche des logisch, mathematisierten Managements hinter uns. Heute wird alles gemanaged von der Unternehmung bis zur Gesundheit. Das hintergründige Phänomen des Management-Ansatzes war die Effizienz. Alle Unternehmen und die gesamte Wirtschaft sollten immer effizienter werden. Jetzt haben wir ein Maximum dieser Entwicklung erreicht. Wir merken, dass Transformation, also die grundlegende Veränderung, als Zielmaxime die Effizienzsteigerung ablöst. Das wird im Management für längere Zeit, natürlich in regelmäßig abgewandelter Form, den Diskurs bestimmen.

Konrad Fischer: Ressortleiter Erfolg, Innovation, Digitales

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