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Excellence

Bei der Diskussion um die Zukunft wird gerne auf die sogenannte VUCA Welt Bezug genommen. Wir können diese negative Sicht der Zukunft glauben, oder uns einfach über die fehlende Weitsicht der Experten hinweg setzen. Die Zukunft zu gestalten, liegt allein bei uns. Transformation und Disruption sind die Ergebnisse von handelnden Personen und nicht einer zufälligen Entwicklung der Welt.

Politische Ungewissheit

Odysseus wußte um die politischen Verhältnisse. Der Frieden war trügerisch. Er hatte damals um die Hand der schönen Helena angehalten und kannte alle Könige und Adlige, die als Freier am Hofe von Sparta um die Gunst der schönsten Frau der Welt rangen. Vielfältig und eigensinnig waren die verschiedenen griechischen Stämme und ihre Herrscher. Ajax, Patroklos, Menelaos und natürlich Agamemnon fehlte es nicht an herrschaftlichem Auftreten. Jeder pochte auf seine Unabhängigkeit. Agamemnon aus Mykene hatte in der Vergangenheit immer wieder versucht, die griechischen Völker irgendwie unter seine Herrschaft zu vereinen. Doch er war bislang gescheitert. Die Unabhängigkeit ist ein wichtiges Gut wußten die Könige und warum sollte man sich dem Willen eines einzelnen unterordnen. Es hätte eine deutliche Einschränkung der eigenen Würde bedeutet. Nein, die Griechen blieben eine lose Gemeinschaft und Frieden unter einem einheitlichen Dach wollte wohl keiner beschwören. Die politische Lage war unsicher, unbeständig und komplex. Und auch wenn die Gefahren aus dem Osten, namentlich durch Troja, beschworen wurden, so waren auch diese Anzeichen der Bedrohung absolut mehrdeutig.

Diese politische Situation ist der Ausgangspunkt des großen Heldenepos, der Ilias. Wer Freund und Feind war, wechselte mit teilweise geringfügigen Anlässen. Eine klare Ordnung in politische Blöcke mit einer gemeinsamen Wertebasis hatte sich nicht heraus gebildet. Es war nie klar, wer Freund und Feind war. Das galt sogar in Bezug auf Troja, dass wegen seiner Größe und Bedeutung von Agamemnon immer als feindliches Terrain verstanden wurde. Andere griechische Gebiete als Mykene hatten aber gute Wirtschaftsbeziehungen zu der Macht im Osten.

VUCA – oder das große Leiden

Anscheinend ergibt sich auch hier eine bedeutsame Parallele zur heutigen Zeit. Damals wie heute sind Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität die Kennzeichen der gesamtpolitischen Lage. Heute wird diese Situation in der Literatur bedeutungsschwanger als VUCA-Welt bezeichnet.(fn)Dieses Akronym ist Ende der 80er Jahre entstanden und beschreibt einfach eine unvorhersehbare Zukunft. Die Buchstaben VUCA stehen für:

  • volatility ‚Volatilität‘ (Unbeständigkeit),
  • uncertainty ‚Unsicherheit‘,
  • complexity ‚Komplexität‘ und
  • ambiguity ‚Mehrdeutigkeit‘.
    In der Zeit als der Ausdruck geprägt wurde, also vor mehr als 30 Jahren, galt es, eine neue geopolitische Lage nach dem Ende des kalten Krieges zu beschreiben.(fn) Eine neue Weltordnung zeichnete sich nun nicht gleich ab. Den Militärs war mit dem Ende der Blockbildung nicht mehr klar, wer eigentlich der Feind ist. Diese bemitleidenswerten Phase der totalen Orientierungslosigkeit mußte jedem klar gemacht werden. Das militärische Achtsamkeitsprinzip erforderte es, eine besondere Skepsis gegenüber der gesamten Welt und auch gegenüber der unsicheren Zukunft zu entfalten. Es schien eben besser, immer auf der Hut zu sein.

Das Management des Unplanbaren

Heute sind es nicht mehr geopolitische Aspekte, die die Zukunft so ungewiss erscheinen lassen. Aber dennoch sind die Bedrohungen der VUCA-Welt nach wie vor in aller Munde. Die Behauptung der Wissenschaft besteht darin, dass das Umfeld des modernen Management eigentlich nicht planbar ist. Heute zeigt sich die Volatilität und Unsicherheit in der komplexen und mehrdeutigen Transformation und Disruption. Das VUCA-Narrativ ist so stark, dass es auch nach 30 Jahren nach wie vor bei jeder Veränderung herhalten muss.

Als Narrativ werden Erzählungen und Aussagen verstanden (fn), die einen dominanten Einfluß darauf haben, wie wir die Umwelt wahrnehmen. Diesen Einfluss auf die Einschätzung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Umfeldes ist den Promotoren der VUCA-Welt hervorragend gelungen. Nur die allerwenigsten Experten zweifeln ernsthaft an der ebenso veralteten wie pessimistischen Weltsicht.

Die Verschwörung der Experten gegen die Zukunft

Im Grunde ist es eine kooperative Verschwörung, die den Einfluß der VUCA Welt so gewaltig werden ließ. Die Wissenschaftler sind ja der wissenschaftlichen Arbeitsweise verpflichtet. Mythen und unklare Aussagen sind nicht der Kern der Wissenschaft, sondern deren Feinde. Da die Wissenschaft auf Fakten beruht, ist die Zukunft mit ihren Unsicherheiten immer schwer vorhersehbar und war schon immer schwer quantifizierter. Da aber die Mathematik eine wichtige Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnis ist, besteht bei den Zukunftsprognosen ein erhebliches Problem. (fn) Da ist es der Wissenschaft eingefallen, die Berechenbarkeit der Zukunft insgesamt zu verneinen. Ein „Persilschein“ für alle falschen Vorhersagen. Und davon gibt es sehr, sehr viele.

Die VUCA-Welt wird als Narrativ anscheinend von allen Experten und dem Gros des Management einfach übernommen. So wird das Narrativ zu einer Gemeinschaftsleistung. Seine Wirkung erlangt es allein durch eine permanente Wiederholung. So wie Werbung eben auch wirkt. Den Verfechtern der VUCA-Welt ist es gelungen, Deutungshoheit zu erlangen. Das Geschäft des Management und der Berater hängt ganz offensichtlich an der Deutungshoheit und nicht an der Wahrheit.

Das dunkle Zeitalter verlassen

Selbst bei den Erfindern des Begriffes VUCA bestand nie ein Zweifel, dass dieses Wort eine negative und dunkle Konnotation hat.(fn) Wenn das Management bei jeder Präsentation auf dieses negative Narrativ Bezug nimmt, dann stellt es sich in den Schatten einer düsteren Weissagung. Es kommt Angst vor der Zukunft auf und der Erfolg des eigenen Handelns wird ebenfalls ungewiss.

Die Geschichtenerzähler der Neuzeit haben aber mit Ihrer negativen Zukunftsprognose ganze Arbeit geleistet. Eine Studie des Rheingold-Institutes aus dem Jahre 2021 beschreibt die aktuelle Stimmungslage in Deutschland ganz exzellent. Danach sehen 59 % der Deutschen die Zukunft gar nicht, oder eher nicht optimistisch.(fn) Der Grundtenor unserer Gesellschaft ist also überwiegend pessimistisch. Wir schauen ängstlich in die Zukunft und erwarten täglich die nächste Tragödie, wie auch immer sie denn heißen mag. Offensichtlich stehen wir, statistisch gesehen, nicht vor dem Antritt zu einer neuen Heldenreise.

Der Hype der Orientierungslosen

Wer noch nicht zu seiner pessimistischen Haltung gefunden hat, dem kommt jetzt neue Hilfe zu teil. Es gibt eine neue apodiktische Vorhersage von dem Autor und Futuristen Jamais Cascio,(fn) der in seinem Medium-Beitrag „Facing the age of chaos“, BANI als Sensemaking Model ins Leben gerufen hat. Dieses Akronym steht für B:rittle (brüchig), A:nxious (ängstlich, besorgt), N:on-linear (nicht-linear) und I:ncomprehensible (unbegreiflich). Wir wissen aber jetzt, dass diese Modernisierung von VUCA nur neue Ängste anspricht. Auch BANI hat kein positives Element zur Gestaltung der Zukunft.
Es ist irgendwie unbegreiflich, dass Leuten, die offen und lautstark zugeben „die Welt nicht mehr zu verstehen“, mit dieser Nicht-Leistung auch noch Gehör finden. Das, was wir seit den 90er Jahren als Narrative bezeichnen, wäre in der Zeit des Odysseus ein Mythos gewesen. Eine Erzählung, die Einfluss hat auf die Art, wie wir die Umwelt wahrnehmen. Narrative transportieren Werte und Emotionen bezogen auf die Einschätzung der Welt. Das aber ist genau der Kern des Mythos. Den Mythos würde die Wissenschaft immer von sich weisen, das Narrativ verkaufen sie aber als objektive Erkenntnis.

Excellente Zukunftsaussichten

Wer exzellent sein will, der darf nicht vermeintliche Wahrheiten nachplappern. Das Narrativ ist Gemeinsinn und nicht herausragend. Es ist an der Zeit, dass eine neue Führung die Deutungshoheit der Zukunft übernimmt. Es ist nicht exzellent, wenn das Management seine Erfolge dadurch aufwertet, dass diese trotz eines unglaublich bedrohlichen Umfeldes erzielt wurden. Die neue Führung muss bei einer neuen Interpretation der Zukunft einen grundlegenden Perspektivwechel schaffen: Nur weil man die Zukunft nicht vorher sehen kann, ist sie nicht gefährlich.
Ganz im Gegenteil hält die unbekannte Zukunft immer viele positive Überraschungen bereit. So wie es für Agamemnon ein glücklicher Zufall war, dass Paris die Helena entführte und er endlich gegen Troja mobil machen konnte. In unserer Zeit gibt es viele unerwartete Ereignisse, die neue Perspektiven auftun. Schulkinder treiben die globale Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit. Ein Virus wird zum Treiber der die Digitalisierung. Die Führung wird plötzlich durch das Home-Office herausgefordert. Die Liste ließe sich unendlich weiter schreiben.

Die Tatsache, dass Experten überrascht werden, sagt doch rein gar nichts über die neuen Chancen aus. Es ist nur Ausdruck einer Überforderung von einer Gruppe, die sich eine pessimistische Deutungshoheit erkämpft hat. Warum sollen wir nicht in freudiger Erwartung auf schöne Zufälle oder glückliche Umstände zu gehen? Das Management muss sich aus der großen Zukunfts-Depression verabschieden und an einer neuen Zukunftseuphorie arbeiten. Das Vorhersehbare engt den Raum für Excellenz nur ein. Nur eine Begeisterung für das Unvorhergesehene und die kreative Entfaltung der neuen Möglichkeiten schaffen Exzellenz. Es ist jetzt der richtige Augenblick für eine Zeitenwende, so wie damals zur Urzeit von Odysseus und seinen Gefährten.

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