Buchauszug “Klare Führung” Teil II: Megatrends
Die größten gesellschaftlichen Herausforderungen bestehen nach Ansicht der meisten Experten in der Globalisierung und Digitalisierung. Nicht selten wird davon gesprochen, dass wir in ein neues Zeitalter aufbrechen, das unser gesellschaftliches und berufliches Leben vollkommen verändern wird. Es ist unbestritten, dass wir auf die gravierenden Änderungen reagieren müssen und es herrscht ebenso Einigkeit darüber, dass das richtige Mittel zum Umgang mit den Herausforderungen der gesellschaftliche Fortschritt ist. Die Erwartung ist klar definiert: Nicht der Mitläufer hat die besten Chancen in der Zukunft, sondern der Treiber, der neue Ideen entwickelt und die Wettbewerber quasi vor sich her treibt. Ein starker Wettbewerb soll die Basis für den Fortschritt liefern.
Der Wettbewerb als Motor unserer freien Gesellschaft und unserer freien Wirtschaft ist unbestritten und hat geradezu mythischen Charakter. Nach landläufiger Meinung wird dort wo Wettbewerb herrscht, eine hohe Anpassungsbereitschaft, eine hohe Anpassungsgeschwindigkeit und gewaltiger Fortschritt zu finden sein. Jeder hat eine klare und überwiegend positive Einstellung zum Wettbewerb, ohne sich genauer mit dem Phänomen aus wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht auseinander zu setzen.
Die philosophischen Überlegungen haben deutlich gemacht, dass eine Sache immer auch das Gegenteil in sich vereint. Dort wo starke Kräfte den Fortschritt vorantreiben wollen, sind sicher ebenso starke Kräfte am Werk, die das Bestehende erhalten wollen. Dort wo auf der einen Seite der große Wurf gefordert wird, finden wir auf der anderen Seite die Betonung der Risiken bei allzu großen Veränderungen. Wie ist also unsere Gesellschaft aufgestellt und welche Entwicklung können wir prognostizieren?
Der Wettbewerb als Motor des Geschehens verbindet sich immer mit einem Kampf des Neuen gegen das Alte. Ohne die Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung gibt es kein Vorankommen. Das Bestehende soll zugunsten des Neuen verändert oder gar überwunden werden. Bei der Entwicklung des Fortschritt sind viele verschiedene Lösungen zu diskutieren, und auch hier muss man sich gegenüber den Alternativen durchsetzen. Doch obwohl der Fortschritt als unabdingbar für die Zukunft unserer Gesellschaft angesehene wird, fehlt es zumindest politisch an Kampfgeist. Unser Zeitgeist beschwört noch die umfangreiche politische Auseinandersetzung und den Konsens. Wir suchen Harmonie und geben dem gesellschaftlichen Konsens einen hohen Stellenwert. Der Kampf gesellschaftlicher Gruppen um die beste Lösung für die Zukunft wird nicht mit besonderer Härte geführt. Wir nehmen in besonderem Maße Rücksicht und wollen nicht, dass die eine Alternative die anderen tatsächlich dominiert. Politisch wird Fortschritt gesucht, ohne das Bestehende aufgeben zu wollen. So kommt der Eindruck auf, dass wir gesellschaftlich und politisch im Klein-Klein stecken bleiben.
Die negativen Folgen des Konsensprinzips sind offensichtlich. Der Konsens ist der kleinste gemeinsame Nenner einer Vielzahl von Meinungen. Daher sind auf der Basis solcher Entscheidungsfindungsprozesse radikale Verbesserungen nicht zu erwarten. Es werden ja nicht nur inhaltlich andere Ansätze zur Belebung der Wettbewerbsposition in Einklang gebracht, sondern es treffen sehr viele unterschiedliche Risikoeinschätzungen aufeinander. Mutige und weniger mutige Gruppen suchen einen gemeinsamen Mittelweg. Die Chancen des Fortschritts werden unterschiedlich wahrgenommen. Während die Einen von unglaublichen Risiken der vorgeschlagenen Veränderungen ausgehen, sehen Andere praktisch keine schwerwiegenden Nachteile und allenfalls große Erfolge in der Zukunft.
Ein zweiter erheblicher Nachteil besteht in der Dauer der notwendigen Abstimmungsprozesse. Wir verstehen eigentlich Fortschritt als dynamisch. Kaum hat man einen Fortschritt erzielt, werden von Seiten der globalen Konkurrenz viele Anstrengungen unternommen, die Vorteile zu egalisieren. Wer nicht schnell genug agiert, gerät schon nach kurzer Zeit wieder ins Hintertreffen. Wer sich nicht schnell genug bewegt, kann Vorteilspositionen nicht erhalten oder neu aufbauen.
Ein positives Argument für den Konsens wird in der erreichten Übereinkunft gesehen, die die Kräfte in die entschiedene Veränderungsrichtung bündeln soll. Es ist allerdings festzustellen, dass der Konsens gar nicht mehr zu einem gemeinsamen Vorgehen führt. Das Konsensprinzip schafft häufig genug nur scheinbare Übereinstimmung. Denn tatsächlich müssen so viele an der Entscheidung Beteiligte in einem solchen Ausmaß Abstriche machen, dass praktisch niemand mehr glücklich ist. Öffentliche Aussagen und offizielle Stellungnahmen, mit dem Ziel der Betonung des „gemeinsamen Vorankommens“ können darüber schon lange nicht mehr hinweg täuschen. Und was ist die Folge? Der inhaltliche und persönliche Frust sucht sich andere Wege. Mit der offiziellen Entscheidung sind die Diskussionen noch lange nicht tot. Im Hintergrund wird weiter debattiert und jeden Tag ist der „Judas“ irgendwo aktiv.
Es besteht kein Zweifel: Das Konsensprinzip steht dem Neuen und Überlegenen ein gutes Stück im Wege. Die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und lange Entscheidungswege dienen allenfalls dem Erhalt des Erreichten.
Es zeigen sich zunehmend Indizien, dass das gesellschaftliche Konsensprinzip ins Wanken gerät und der Kampf als Motor allen Geschehens wieder an Bedeutung gewinnt. Nach der „Ungerechtigkeit der Zeit“ wird nach einem exzessiven Konsensprinzip der Wettkampf verschiedener Alternativen wieder zunehmen. Erkennen kann man die neue Richtung an einer starken Ermüdung über das gesellschaftliche Klein-Klein. In nahezu keinem politischen Feld sind grundsätzliche Verbesserungen und Weichenstellungen für den Fortschritt zu erkennen. Es herrscht Stillstand in wichtigen Fragen. Damit wird denjenigen der Boden bereitet, die mit klaren Botschaften gegen das „Einfach weiter so“ antreten. Es sind gar nicht die inhaltlichen Botschaften, die überzeugen, sondern es wird der Sehnsucht nach einem durchsetzungsstarken Typus entsprochen.
Der Wettbewerb wird uns auch aufgezwungen. In vielen Fällen haben branchenfremde und nicht die etablierten Player mit innovativen Ideen die Märkte komplett umgedreht. Das ist bei digitalen Angeboten, Automobilen, Umwelttechnologie, Energieversorgung und anderen der Fall. Die gewaltigen Veränderungen durch neuartige Geschäftsmodelle zwingen die etablierten Anbieter in diesen Branchen zu Reaktionen. Die Politik kann sich den Weichenstellungen in einer globalisierten Welt auch nicht entziehen und muss ebenfalls auf den importierten Fortschritt reagieren.
So kommt es denn zu einer Zeitenwende, die nicht den Erhalt des Erreichten, sondern die Veränderung in den Vordergrund stellt. Es beginnt eine neue Phase in der das Pendel der Gegensätze in die andere Richtung umschlägt. Der Fortschritt setzt – wie der Wettbewerb – den Kampf voraus und stellt sich gegen das ausgeuferte Konsensprinzip. Es wächst gesellschaftlich offensichtlich die Bereitschaft, nicht alle Akteure gleichermaßen zu berücksichtigen oder gar gleich zu behandeln. Die Notwendigkeiten geben den Anpassungsbedarf vor und die Gesellschaft möchte sich den Herausforderungen stellen und sie als Chance verstehen. Von der politischen Führung wird immer lauter mehr Mut gefordert. Die Entwicklung in kleinen Schritten scheint für niemanden mehr ausreichend.
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